Pflegende Angehörige & Überforderung: So entkommen Sie der Last
Stark für Andere, stark für sich: Wie pflegende Angehörige der Überforderung entkommen
Sie kümmern sich aufopferungsvoll um einen geliebten Menschen. Sie organisieren den Alltag, begleiten zu Arztterminen, spenden Trost und sind rund um die Uhr da. Diese Aufgabe entspringt der Liebe und dem Verantwortungsgefühl. Doch im Stillen fragen Sie sich immer öfter: Wer kümmert sich eigentlich um mich? Die ständige Sorge, der Schlafmangel und das Gefühl, nie abschalten zu können, führen schleichend in die Erschöpfung.
Diese Überforderte pflegende Angehörige sind keine Ausnahme. Dieser Artikel ist für Sie. Er soll Ihnen nicht nur zeigen, dass Sie mit diesen Gefühlen nicht allein sind, sondern Ihnen vor allem konkrete, praktische Wege aufzeigen, wie Sie Ihre eigenen Kraftreserven wieder auffüllen und die Situation meistern können, ohne selbst dabei auf der Strecke zu bleiben.
Warum Pflege so kräftezehrend ist: Die unsichtbare Last
Die Belastung für pflegende Angehörige geht weit über die rein körperliche Hilfe hinaus. Es ist eine Mischung aus vielen Faktoren, die an die Substanz geht und oft von Außenstehenden nicht in vollem Umfang wahrgenommen wird.
- Emotionale Belastung: Die ständige Sorge um den geliebten Menschen, das Miterleben von Schmerzen, Verwirrung oder fortschreitendem geistigem Abbau ist eine enorme seelische Last. Hinzu kommen Gefühle wie Trauer, Hilflosigkeit oder manchmal auch Wut.
- Sozialer Rückzug: Eigene Hobbys, Treffen mit Freunden und spontane Freizeitaktivitäten bleiben oft auf der Strecke. Der Lebensmittelpunkt verengt sich zunehmend auf die Pflegesituation, was zu Einsamkeit führen kann.
- Organisatorischer Stress: Sie sind Manager eines kleinen Unternehmens. Sie müssen Arzttermine und Therapien koordinieren, mit Krankenkassen und Ämtern kommunizieren, Rezepte und Hilfsmittel besorgen und nebenbei den Haushalt führen.
- Finanzielle Sorgen: Viele pflegende Angehörige müssen ihre eigene Berufstätigkeit reduzieren oder ganz aufgeben. Das führt nicht nur zu direkten finanziellen Einbußen, sondern auch zu Sorgen um die eigene Altersvorsorge.
- Körperliche Anstrengung: Das regelmäßige Heben und Stützen, die oft unterbrochenen Nächte und der Mangel an erholsamem Schlaf zehren direkt an der eigenen Gesundheit.
Das ehrliche Anerkennen dieser vielfältigen Belastungen ist der erste und wichtigste Schritt, um aktiv etwas für sich selbst zu tun.
Erkennen Sie die Warnsignale: Ihr Körper sendet Notrufe
Überforderung kommt nicht über Nacht. Es ist ein schleichender Prozess. Ihr Körper und Ihre Seele senden jedoch oft deutliche Warnsignale. Wenn Sie mehrere der folgenden Punkte bei sich wiedererkennen, ist es höchste Zeit, die Notbremse zu ziehen:
- Anhaltende Erschöpfung: Sie fühlen sich ständig müde, ausgelaugt und kraftlos, selbst nach dem Aufwachen.
- Gereiztheit und Ungeduld: Kleinigkeiten bringen Sie auf die Palme und Sie reagieren auf eine Weise, die Sie von sich selbst nicht kennen.
- Gefühl der Hoffnungslosigkeit: Sie sehen kein Licht am Ende des Tunnels und haben das Gefühl, in der Situation gefangen zu sein.
- Sozialer Rückzug: Sie haben keine Energie oder Lust mehr, Freunde zu treffen oder Anrufe zu tätigen.
- Körperliche Symptome: Häufige Kopf- oder Rückenschmerzen, Magen-Darm-Probleme oder eine ständige Anfälligkeit für Infekte.
- Schlafstörungen: Sie können abends nicht einschlafen, weil die Gedanken kreisen, oder wachen nachts häufig auf.
Ignorieren Sie diese Zeichen nicht! Sie sind kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Hilferuf Ihres Körpers.
Ihr Werkzeugkasten: Konkrete Strategien gegen die Überforderung
Sie müssen diese Last nicht alleine tragen. Es gibt ein starkes Netz an Hilfen und erprobten Strategien, das Sie für sich nutzen können und sollten. Betrachten Sie die folgenden Punkte als Ihren persönlichen Werkzeugkasten.
Hilfe aktiv annehmen: Sie müssen nicht alles alleine schaffen
Dies ist oft der schwierigste, aber mit Abstand der wirkungsvollste Schritt. Hilfe anzunehmen ist kein Versagen, sondern kluges und verantwortungsvolles Handeln. In Deutschland gibt es gesetzlich verankerte Angebote zur Entlastung für pflegende Angehörige:
- Verhinderungspflege: Wenn Sie eine Pause brauchen, selbst krank sind oder in den Urlaub fahren möchten, finanziert die Pflegekasse für bis zu sechs Wochen im Jahr eine Ersatzpflege.
- Kurzzeitpflege: Dies ist eine vorübergehende vollstationäre Pflege in einer Einrichtung, zum Beispiel nach einem Krankenhausaufenthalt des Pflegebedürftigen, um die häusliche Pflege in Ruhe neu zu organisieren.
- Tages- oder Nachtpflege: Der Pflegebedürftige wird für einige Stunden am Tag oder in der Nacht in einer professionellen Einrichtung betreut. In dieser Zeit können Sie arbeiten, wichtige Erledigungen machen oder einfach nur durchatmen.
- Lokale Pflegestützpunkte: In fast jeder Stadt und Gemeinde gibt es kostenlose Beratungsstellen, die Sie über alle Hilfsangebote in Ihrer Region informieren und bei der Antragstellung unterstützen.
Grenzen setzen und „Nein“ sagen lernen
Um langfristig für jemand anderen da sein zu können, müssen Sie Ihre eigenen Grenzen schützen.
- Kommunizieren Sie klar im Familienkreis: Oft wissen andere gar nicht, wie es Ihnen wirklich geht. Sprechen Sie offen über Ihre Belastung und teilen Sie Aufgaben konkret auf. Sagen Sie deutlich: „Ich schaffe das nicht mehr allein. Ich brauche jeden Mittwochabend und Samstagnachmittag frei. Wer von euch kann das übernehmen?“
- Legen Sie den Perfektionismus ab: Es muss nicht immer alles perfekt sein. Ein makellos sauberes Haus ist weniger wichtig als Ihre seelische und körperliche Gesundheit. Es ist in Ordnung, wenn die Wäsche mal einen Tag liegen bleibt.
Oasen im Alltag schaffen: Tanken Sie regelmäßig Kraft
Warten Sie nicht, bis der Akku komplett leer ist. Integrieren Sie kleine, aber feste Erholungsinseln in Ihren Alltag.
- Planen Sie eine feste Auszeit nur für sich: Nehmen Sie sich jeden Tag mindestens 30 Minuten, in denen es nur um Sie geht – ohne Störungen. Lesen Sie ein paar Seiten in einem Buch, hören Sie Ihre Lieblingsmusik oder genießen Sie einfach nur eine Tasse Tee in Ruhe.
- Pflegen Sie soziale Kontakte: Verabreden Sie sich bewusst mit Freunden, auch wenn es nur für einen kurzen Kaffee ist. Der Austausch mit Menschen außerhalb der Pflegesituation hilft, den Kopf freizubekommen und neue Perspektiven zu gewinnen.
- Bewegung als Stressventil: Sie müssen keinen Marathon laufen. Ein täglicher 20-minütiger Spaziergang an der frischen Luft kann Wunder wirken, um Stresshormone abzubauen und die Stimmung zu heben.
Fazit: Selbstfürsorge ist kein Egoismus, sondern eine Notwendigkeit
Die Pflege eines Angehörigen ist ein unvergleichlicher Akt der Liebe und des Mitgefühls. Doch die größte Liebe nützt nichts, wenn Sie am Ende selbst krank, erschöpft und ausgebrannt sind. Sich um die eigene Gesundheit zu kümmern, sich bewusste Pausen zu gönnen und professionelle Hilfe anzunehmen, ist kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Zeichen von Stärke, Weitsicht und Verantwortung – sich selbst und dem Menschen gegenüber, der Sie so dringend braucht.
Vergessen Sie nie: Nur wenn es Ihnen gut geht, können Sie auch langfristig gut für andere da sein. Sie leisten jeden Tag Großartiges, und Sie verdienen jede erdenkliche Unterstützung.
Fühlen Sie sich in diesem Artikel wiedererkannt? Welcher Tipp hat Ihnen am meisten geholfen, oder welche Strategie nutzen Sie, um im Pflegealltag neue Kraft zu schöpfen? Tauschen Sie sich in den Kommentaren mit anderen pflegenden Angehörigen aus! Ihre Erfahrungen sind wertvoll und können anderen Mut machen.
Abdelrahman Mohamed
Pflegefachmann
Quellenangabe
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ)
- Bundesministerium für Gesundheit (BMG)
- Zentrum für Qualität in der Pflege (ZQP)
- Informationsportal „Wege zur Pflege“
- Pflegestützpunkte Deutschland
- Sozialverband VdK Deutschland
- Caritas Angehörigenberatung
- Diakonie – Hilfsangebote für Pflegende
- Deutsche Alzheimer Gesellschaft
- Verbraucherzentrale – Ratgeber Pflege
Pflegefachmann in der Anästhesie, Gründer von Patienten-Beistand und Mitglied im DBfK.

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