Sicher in die OP: 7 entscheidende Praxis-Tipps für Ihr Anästhesie Vorgespräch

Im Anästhesie-Vorgespräch klären Sie gemeinsam mit Ihrem Anästhesisten alle wichtigen Details für Ihre sichere Narkose.

Steht bei Ihnen eine Operation an? Die meisten Menschen konzentrieren sich auf den Tag selbst und die eine bekannte Regel: „Bitte nüchtern bleiben.“ Das ist wichtig, keine Frage.

Aber Ihre wichtigste Vorbereitung für eine möglichst sichere Narkose findet oft schon Tage vorher statt: im Anästhesie Vorgespräch, auch „Prämedikationsgespräch“ genannt.

Viele Patienten unterschätzen dieses Gespräch. Sie sehen es als reine Formsache oder fürchten sich vor der reinen Aufklärung über Risiken. Doch dieses Gespräch ist Ihre größte Chance, aktiv für Ihre Sicherheit zu sorgen.

Als Pflegefachmann mit Erfahrung in der Anästhesie sehe ich täglich, welche kleinen Details im Operationssaal einen riesigen Unterschied machen. Es sind oft Dinge, an die Sie selbst vielleicht gar nicht denken, die für Ihr Narkose-Team aber von entscheidender Bedeutung sind.

In diesem Beitrag übersetze ich für Sie, worauf es dem Anästhesisten wirklich ankommt. Dies sind die 7 wichtigsten Praxis-Tipps, die Ihre Sicherheit massiv erhöhen könnten.

Tipp 1: Die lückenlose Medikamenten-Liste (Ja, wirklich JEDES Detail zählt!)

Wenn der Anästhesist nach Ihrer Medikamenten-Liste fragt, ist das der mit Abstand wichtigste Punkt des gesamten Gesprächs.

Bitte bringen Sie eine vollständige, aktuelle Liste mit. Am allerbesten ist der offizielle „Bundeseinheitliche Medikationsplan“, den Sie von Ihrem Hausarzt erhalten. Alternativ nehmen Sie bitte die Originalpackungen Ihrer Medikamente mit.

„Ich nehme eine Pille für den Blutdruck und eine für den Zucker“ reicht nicht aus. Wir müssen es ganz genau wissen.

Warum das für uns so entscheidend ist:

  • Blutdruckmittel (z.B. Betablocker, ACE-Hemmer): Die Narkose selbst beeinflusst Ihren Blutdruck stark, meist senkt sie ihn. Wir müssen wissen, welchen Wirkstoff Sie nehmen, um Wechselwirkungen zu steuern. Die wichtigste Frage, die wir hier klären: Nehmen Sie Ihre Tablette am OP-Tag morgens mit einem Schluck Wasser ein oder nicht? Das entscheiden wir hier gemeinsam.
  • Blutverdünner (ASS, Marcumar, Eliquis & Co.): Das ist ein kritischer Punkt. Medikamente wie Aspirin (ASS), Clopidogrel, Marcumar oder neue Gerinnungshemmer (NOAKs) müssen oft Tage vor der OP pausiert oder durch Spritzen ersetzt werden. Wenn Sie das vergessen, riskieren Sie ernsthafte Blutungen während oder nach der OP.
  • Asthmasprays: Ihr Asthma muss zur OP optimal eingestellt sein. Bringen Sie Ihre Sprays (sowohl das Notfallspray als auch die Dauermedikation) unbedingt zum Gespräch mit. Wir müssen auch wissen, ob Sie kürzlich Kortison-Tabletten einnehmen mussten.
  • Diabetes (Insulin & Tabletten): „Nüchtern bleiben“ bringt Ihren Blutzucker durcheinander. Wir müssen Ihr Schema für den OP-Tag exakt planen. Wir legen fest, wie viel Insulin Sie spritzen oder welche Tabletten Sie weglassen, um einen gefährlichen Unter- oder Überzucker während der Narkose zu senken.
  • Pflanzliche & rezeptfreie Mittel: Unterschätzen Sie diese nicht! Selbst „harmlose“ Mittel wie Johanniskraut können die Wirkung von Narkosemitteln stark verändern. Auch Knoblauch- oder Ginkgo-Präparate können die Blutgerinnung beeinflussen.

Tipp 2: Der „Problem-Bart“ – Warum Gesichtsbehaarung ein Risiko sein kann

Dieser Tipp mag banal klingen, ist es aber absolut nicht. Wenn Sie einen dichten Vollbart tragen, wird der Anästhesist Sie im Vorgespräch sehr wahrscheinlich bitten, diesen vor der Operation zu rasieren.

Das Insider-Wissen: Die undichte Maske

Zu Beginn jeder Narkose, noch bevor ein Beatmungsschlauch eingeführt wird, erhalten Sie reinen Sauerstoff über eine Gesichtsmaske. Auch bei kürzeren Eingriffen wird die Narkose oft nur über diese Maske geführt.

Ein dichter Bart wirkt hier wie ein Störfaktor. Die Maske liegt nicht dicht auf der Haut auf. Wertvoller Sauerstoff und Narkosegas entweichen an den Haaren vorbei, und wir bekommen nicht genug Luft in Ihre Lunge. Das ist ein vermeidbares, ernstes Risiko in der kritischsten Phase der Narkose-Einleitung.

Ein Dreitagebart ist meist kein Problem, aber ein dichter Bart sollte für Ihre Sicherheit weichen.

Tipp 3: Schnarchen & Schlafapnoe – Die vielleicht wichtigste Information für Ihre Atemwege

Dies ist ein beonsers wichtiger Punkt für uns. Auf die Frage „Schnarchen Sie?“ antworten viele Patienten zögerlich oder verharmlosen es („Mein Partner sagt, ich schnarche ein bisschen“).

Seien Sie hier bitte zu 100% ehrlich.

Warum Schnarchen für uns „Alarmstufe Rot“ bedeutet

Starkes, unregelmäßiges Schnarchen, vielleicht sogar mit beobachteten Atemaussetzern (Schlafapnoe), ist für uns ein zentrales Warnsignal. Es bedeutet, dass Ihre Atemwege im Schlaf (und damit auch in der tiefen Narkose) dazu neigen, „zuzufallen“ oder zu kollabieren.

Wenn Sie nachts sogar eine CPAP-Maske (Schlafmaske) benutzen, ist das für uns die entscheidendste Information des gesamten Gesprächs!

Was wir bei Schlafapnoe anders machen

Wenn wir von Ihrer Schlafapnoe wissen, passen wir die gesamte Narkoseführung für Sie an:

  1. Wir wählen die Narkosemittel so, dass Sie am Ende schneller wieder „fit“ sind und Ihre eigene Atemmuskulatur kräftig zurückkehrt.
  2. Wir überwachen Sie nach der OP im Aufwachraum besonders intensiv und oft auch deutlich länger als andere Patienten.
  3. Wir bitten Sie, Ihre eigene CPAP-Maske von zuhause mitzubringen. Diese können wir Ihnen dann direkt nach der OP im Aufwachraum wieder aufsetzen, um Ihre Atemwege sicher offenzuhalten.

Tipp 4: Warum Ihr Zahnstatus und Sodbrennen jetzt entscheidend sind

Zwei Themen, die Sie vielleicht nicht sofort mit der Narkose in Verbindung bringen, sind für den Schutz Ihrer Atemwege und Zähne unerlässlich:

1. Lockere Zähne, Kronen und Implantate

Der Anästhesist wird Sie nach Ihrem Zahnstatus fragen. Das ist keine Neugier, sondern dient dem Schutz Ihres Eigentums und Ihrer Gesundheit.

Das Insider-Wissen: Um Ihre Atmung während der Narkose sicherzustellen, müssen wir oft einen Beatmungsschlauch (Tubus) einführen. Dafür verwenden wir ein spezielles Instrument (Laryngoskop).

Haben Sie lockere Zähne (z.B. durch Parodontose), teure Kronen, Brücken oder Implantate – besonders im Frontbereich? Sagen Sie es uns!

Wenn wir Bescheid wissen, können wir extrem vorsichtig sein. Manchmal wählen wir auch bewusst eine ganz andere Technik (wie eine Kehlkopfmaske), um Ihre Zähne möglichst zu schonen. Ein beschädigter Zahn ist ärgerlich, ein verlorener Zahn, der in die Lunge fällt, ist ein Notfall.

2. Sodbrennen (Reflux)

Leiden Sie häufiger unter Sodbrennen oder einer bekannten Refluxkrankheit? Das ist für uns eine wichtige Information.

Das Insider-Wissen: Die Narkose entspannt alle Muskeln Ihres Körpers – leider auch den Schließmuskel zwischen Magen und Speiseröhre. Wenn Sie flach liegen, kann aggressive Magensäure zurücklaufen und im schlimmsten Fall in Ihre Lunge gelangen (eine sogenannte „Aspiration“). Dies kann eine schwere Lungenentzündung auslösen.

Wenn Sie uns von Ihrem Sodbrennen berichten, können wir handeln. Wir geben Ihnen vorbeugend ein Medikament, das die Magensäure neutralisiert oder die Produktion reduziert. Zudem passen wir oft die Narkosetechnik an (z.B. „Rapid Sequence Induction“), um Ihre Lunge noch schneller zu schützen.

Tipp 5: Lagerungsschäden verhindern – Sprechen Sie über Ihre „Problemzonen“

Bei vielen Operationen liegen Sie stundenlang in einer Position, oft auch in einer ungewohnten, wie der Seiten- oder Bauchlage.

Wenn Sie tief schlafen, merkt Ihr Körper nicht, wenn ein Arm unglücklich verdreht ist, das neue Hüftgelenk überstreckt wird oder ein Nerv auf der harten OP-Liege abgedrückt wird. Die Folge können ernsthafte Nervenschäden, Gelenkprobleme oder starke Schmerzen nach dem Aufwachen sein.

Der entscheidende „Wach-Lagerungs-Trick“

Hier ist Ihr wichtigster Appell an das Team, besonders wenn Sie Vorerkrankungen haben:

  • „Ich habe eine künstliche Hüfte links.“
  • „Meine rechte Schulter ist steif und darf nicht über 90 Grad bewegt werden.“
  • „Ich habe einen Bandscheibenvorfall in der LWS.“

Bitten Sie das Team im OP-Saal aktiv darum: „Können wir mich bitte lagern, solange ich noch wach bin?“

Das ist Ihr bestmöglicher Schutz. Solange Sie wach sind, können Sie selbst ein Veto einlegen: „Stopp, das tut weh“ oder „So ist es für mich bequem.“ Das Team wird dies respektieren und die Position erst dann fixieren, wenn Sie Ihr Einverständnis geben.

Tipp 6: Gute oder schlechte Erfahrungen? Was bei der letzten Narkose geschah

Hatten Sie schon einmal eine Narkose? Ihre Erinnerungen daran sind für uns Gold wert. Wir wollen aus der Vergangenheit lernen.

Übelkeit und Erbrechen (PONV)

War Ihnen nach der letzten Operation furchtbar schlecht? Mussten Sie sich mehrfach übergeben? Sagen Sie das unbedingt im Vorgespräch!

Anästhesie VorgesprächDiese Information ist für uns kein kleines Übel, sondern ein klarer Handlungsauftrag. Übelkeit nach Operationen (Fachbegriff: PONV) ist eine bekannte Komplikation, die wir heute deutlich senken können.

Wenn wir von Ihrem Risiko wissen, erhalten Sie von uns nicht nur ein, sondern gezielt 3-4 verschiedene Medikamente gegen Übelkeit bereits während der Narkose. Sie werden den Unterschied deutlich spüren.

Probleme bei der Intubation oder Ängste

  • Schwieriger Atemweg: Stand in alten Arztbriefen jemals etwas von „schwieriger Atemweg“ oder „schwierige Intubation“? Besitzen Sie vielleicht sogar einen Narkoseausweis? Bringen Sie diesen unbedingt mit! Das ist lebenswichtig, damit wir spezielle Geräte (z.B. ein Video-Laryngoskop) bereithalten können.
  • Angst vor dem Wachwerden (Awareness): Viele Patienten haben Angst, während der OP aufzuwachen. Sprechen Sie diese Sorge offen an. Diese Fälle sind extrem selten. Ihr Anästhesist kann Ihnen genau erklären, wie er die Narkosetiefe heute sehr genau überwacht (z.B. durch Messung der Hirnströme), um dieses Risiko deutlich zu senken.

Tipp 7: Der Allergiepass (und die eine Allergie, die fast jeder vergisst)

Natürlich fragt der Arzt nach Allergien. Bringen Sie unbedingt Ihren Allergiepass mit, falls vorhanden.

Wichtig sind nicht nur Medikamente (z.B. Penicillin, Novalgin) oder Heuschnupfen. Denken Sie auch an:

  • Latex (Gummihandschuhe)
  • Jod oder Röntgen-Kontrastmittel
  • Bestimmte Antibiotika

Und hier der Tipp, den die meisten vergessen: Die Pflaster-Allergie!

Es gibt kaum etwas Unangenehmeres, als nach einer überstandenen OP mit einer großflächig juckenden und geröteten Wundumgebung aufzuwachen. Wenn Sie wissen, dass Sie auf „normales“ Heftpflaster reagieren, sagen Sie es. Wir verwenden dann spezielle, sensitive Verbandsstoffe (Silikonpflaster o.ä.) für Sie.

Zusammenfassung: Sie sind der wichtigste Experte im Raum

Das Anästhesie Vorgespräch ist keine Einbahnstraße und kein reiner Vortrag über Risiken. Es ist ein Dialog auf Augenhöhe.

Niemand kennt Ihren Körper, Ihre Vorerkrankungen, Ihre Reaktionen und Ihre Ängste besser als Sie selbst. In diesem Moment sind Sie der wichtigste Experte im Raum.

Je mehr dieser „Insider-Informationen“ Sie Ihrem Narkose-Team geben, desto genauer können wir die Narkose wie einen Maßanzug auf Sie zuschneiden. Ihr Wissen ist der Schlüssel zu Ihrer Sicherheit. Nehmen Sie sich die Zeit, seien Sie offen und fragen Sie nach, wenn Sie etwas nicht verstehen.

Was sind Ihre Erfahrungen?

Welche Sorgen haben Sie vor Ihrer nächsten OP? Oder welchen wichtigen Tipp haben Sie aus eigener Erfahrung gelernt, den wir hier vielleicht vergessen haben?

Wir von Patienten-Beistand.de unterstützen Sie. Teilen Sie Ihre Gedanken gerne in den Kommentaren.

Quellenangaben (Relevante Quellen)

  1. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie (DGAI)
  2. Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA)
  3. Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
  4. Patienten-Information.de (Ärztliches Zentrum für Qualität im Gesundheitswesen)
  5. Stiftung Patientenschutz
  6. Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD)
  7. Sozialgesetzbuch V (SGB V – Aufklärungspflichten)
  8. Bundesministerium für Gesundheit
  9. Patientenrechtegesetz (PatRechtG)
  10. Fachliteratur Anästhesie & Pflegestandards

Abdelrahman Mohamed

Wichtiger Hinweis:

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