Patientenakte anfordern: Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung (inkl. Musterbrief)

Einleitung: Warum Ihre Patientenakte pures Gold wert ist
Fühlen Sie sich manchmal auch wie ein Passagier auf Ihrer eigenen Gesundheitsreise? Als würden Entscheidungen über Ihren Kopf hinweg getroffen, während die wirklich wichtigen Informationen in einem verschlossenen Aktenschrank liegen? Dieses Gefühl der Ohnmacht kennen unzählige Patienten. Doch damit ist jetzt Schluss.
Ihre Patientenakte anfordern ist mehr als nur ein bürokratischer Akt. Es ist der erste, entscheidende Schritt, um die Kontrolle zurückzugewinnen. Ob Sie eine Zweitmeinung einholen, einen Behandlungsfehler aufklären oder einfach nur die roten Fäden Ihrer Krankengeschichte selbst in die Hand nehmen wollen – die Antworten finden Sie in diesen Unterlagen. Sie halten damit endlich Ihre eigene Gesundheitsgeschichte in den Händen und können die nächsten Schritte selbstbestimmt planen.
Dieser Artikel ist Ihr persönlicher Beistand. Ich übersetze für Sie das Juristen- und Ärzte-Deutsch in eine glasklare, narrensichere Anleitung. Ich klopfe Ihnen auf die Schulter und sage: „Das steht Ihnen zu, und so bekommen Sie es – ohne Wenn und Aber.“
Ihr gutes Recht: Was das Gesetz wirklich sagt (in einfachen Worten)
Ihr Recht auf die eigene Akte ist kein Bittgesuch, sondern ein Fels in der Brandung des Gesundheitssystems. Es stützt sich auf zwei mächtige Säulen:
- Das Bürgerliche Gesetzbuch (§ 630g BGB): Das deutsche Patientenrechtegesetz, das Ihnen schwarz auf weiß das Recht auf Akteneinsicht zusichert.
- Die Datenschutz-Grundverordnung (Art. 15 DSGVO): Ihre europäische Superkraft, die Ihnen das Recht gibt, eine Kopie aller über Sie gespeicherten Daten zu erhalten.
Zusammen sind diese beiden Gesetze unschlagbar. Sie geben Ihnen das Recht auf eine vollständige Kopie der Patientenakte. Und was gehört da alles rein? Praktisch alles, was für Ihre Behandlung relevant ist:
- Anamnesebögen und Ihre Krankengeschichte
- Diagnosen, Befunde und Untersuchungsergebnisse (Laborwerte, Röntgenbilder etc.)
- Operations- und Narkoseberichte
- Arztbriefe, die zwischen Ärzten ausgetauscht wurden
- Medikationspläne und verabreichte Medikamente
- Ihre unterschriebenen Einverständniserklärungen
- Notizen über Ihre Aufklärungsgespräche
Gibt es Ausnahmen? Ja, aber sie sind selten und streng geregelt. Ein Arzt darf die Einsicht nur in Ausnahmefällen verweigern, zum Beispiel wenn „erhebliche therapeutische Gründe“ dagegensprechen – also die begründete Sorge, die Einsichtnahme könnte Ihnen gesundheitlich erheblich schaden. Auch rein subjektive, persönliche Notizen des Arztes, die für die Behandlung keine Rolle spielen, sind ausgenommen. Beides kommt in der Praxis extrem selten vor. Lassen Sie sich davon nicht verunsichern.
Insider-Tipp: Das Gesetz unterscheidet zwischen der „unverzüglichen Einsichtnahme vor Ort“ und dem „Anfordern von Kopien“. Sie haben das Recht auf beides. Sie können also in der Praxis verlangen, die Akte sofort einzusehen, aber auch eine physische oder digitale Kopie für zu Hause anfordern. Wir konzentrieren uns hier auf die Kopie, denn die brauchen Sie für Ihre nächsten Schritte.
Die Vorbereitung: So starten Sie den Prozess richtig
Ein Anruf in der Praxis ist oft der erste Impuls. Das ist verständlich, aber seien Sie gewarnt: Ein Anruf ist der unsicherste Weg. Mündliche Zusagen sind schwer zu beweisen und Absagen am Telefon sind schnell ausgesprochen.
Der entscheidende erste Schritt ist immer die Schriftform. Ein Brief per Einschreiben oder eine E-Mail mit Lesebestätigung ist Ihr Beweis. So wird Ihre Anfrage offiziell und kann nicht ignoriert werden.
Ein kleiner, aber mächtiger Trick ist, niemals ohne einen konkreten Grund nachzufragen, auch wenn Sie ihn rechtlich nicht nennen müssen. Es öffnet Türen und beschleunigt den Prozess ungemein. Praxisteams sind Menschen – wenn sie verstehen, warum Sie die Unterlagen brauchen, sind sie kooperativer.
Gute Gründe, die Sie nennen können:
- „Ich benötige die Unterlagen zur Vorbereitung auf eine Zweitmeinung.“
- „Für meinen neuen Hausarzt möchte ich eine lückenlose Dokumentation sicherstellen.“
- „Ich stelle die Unterlagen für meine Kranken- oder Pflegeversicherung zusammen.“
Seien Sie klar, freundlich und sachlich. Sie bitten nicht um einen Gefallen, Sie nehmen ein Recht in Anspruch.
Der Antrag: Ein Musterbrief, der funktioniert

Keine Sorge, Sie müssen keinen Anwalt engagieren. Dieser Musterbrief ist einfach, direkt und enthält alles, was Sie brauchen, um rechtssicher und unmissverständlich Ihre Patientenakte anzufordern. Er fühlt sich nicht an wie ein Anwaltsschreiben, sondern wie der Brief eines mündigen Bürgers, der seine Rechte kennt.
Musterbrief: Anforderung meiner Patientenakte
[Ihr vollständiger Name]
[Ihre Adresse]
[Ihre Kontaktdaten (Telefon/E-Mail)]
[Name & Adresse der Praxis/Klinik]
[Ort], den [Datum]
Betreff: Anforderung einer Kopie meiner vollständigen Patientenakte (Patient/in: [Ihr Name], geb. [Ihr Geburtsdatum])
Sehr geehrte Damen und Herren,
bitte stellen Sie mir eine vollständige Kopie meiner Patientenakte zur Verfügung. Grundlage für meinen Anspruch sind meine Patientenrechte nach § 630g BGB sowie mein Auskunftsrecht nach Art. 15 DSGVO.
Es geht um alle Behandlungsunterlagen seit dem [Datum des Behandlungsbeginns, falls bekannt, sonst: „Beginn der Behandlung“].
Ich bitte Sie, mir die Unterlagen als digitale Kopie (PDF) an meine E-Mail-Adresse [Ihre E-Mail-Adresse] zu senden. Alternativ senden Sie mir die Kopien bitte per Post an meine oben genannte Adresse.
Nach Art. 15 DSGVO ist die erste Kopie meiner Daten für mich unentgeltlich zur Verfügung zu stellen. Sollten Sie dennoch auf der Berechnung von Materialkosten für Papierkopien bestehen, bitte ich um eine kurze Mitteilung vorab.
Ich setze Ihnen für die Zusendung eine Frist von drei Wochen ab Erhalt dieses Schreibens.
Vielen Dank für Ihre Kooperation.
Mit freundlichen Grüßen
[Ihre Unterschrift]
Die häufigsten Hürden und Ausreden – und wie Sie sie kontern
Jetzt kommt der wichtigste Teil. Hier verwandeln Sie die Ohnmacht des Patienten in die Handlungsfähigkeit eines mündigen Bürgers. Sie werden vielleicht auf Widerstand stoßen. Aber keine Sorge, Sie sind vorbereitet.
Insider-Tipp 1: „Das geht aus Datenschutzgründen nicht.“
- Ihr Konter: „Ich verstehe Ihren Einwand, aber hier liegt ein Missverständnis vor. Gerade aus Datenschutzgründen (Art. 15 DSGVO) habe ich als betroffene Person das Recht auf eine Kopie meiner eigenen Daten. Der Datenschutz schützt mich vor Dritten, er darf aber nicht als Vorwand genutzt werden, um mir meine eigenen Informationen vorzuenthalten.“
- Bleiben Sie dran, Sie sind im Recht!
Insider-Tipp 2: „Die Unterlagen sind nur für Ärzte verständlich.“
- Ihr Konter: „Das mag sein, aber das Gesetz gibt mir trotzdem das Recht auf eine vollständige Kopie. Ob und mit wem ich die Unterlagen bespreche – zum Beispiel mit einem anderen Arzt meines Vertrauens – ist allein meine Entscheidung.“
Insider-Tipp 3: „Das dauert aber sehr lange, wir haben keine Zeit.“
- Ihr Konter: „Ich habe Verständnis für Ihre hohe Arbeitsbelastung. Das Gesetz spricht jedoch von ‚unverzüglich‘. Ich habe Ihnen in meinem Schreiben eine faire Frist von drei Wochen für die Akteneinsicht bzw. die Zusendung der Kopien gesetzt. Bitte halten Sie diese ein.“
- Lassen Sie sich nicht abwimmeln!
Insider-Tipp 4: Die Kostenfrage – „Das kostet aber 150 € Bearbeitungsgebühr.“
- Ihr Konter: „Hier müssen wir zwei Dinge unterscheiden. Erstens: Nach Artikel 15 der DSGVO muss mir die erste Kopie meiner Daten grundsätzlich kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Zweitens: Selbst wenn Sie nach dem BGB Materialkosten berechnen, sind pauschale ‚Bearbeitungsgebühren‘ oder Personalkosten rechtlich nicht zulässig. Es dürfen lediglich die reinen Kopierkosten von etwa 50 Cent pro Seite anfallen. Um das Thema Kosten Kopie Patientenakte einfach zu lösen, habe ich Sie ja gebeten, mir die Akte digital als PDF zu senden – dabei entstehen Ihnen keine nennenswerten Materialkosten.“
- Dies ist Ihr stärkstes Argument. Die kostenlose Erstkopie nach DSGVO ist ein echter Joker.
FAQ – Ihre drängendsten Fragen zur Akteneinsicht
1. Wie schnell muss die Praxis/Klinik reagieren?
„Unverzüglich“. Das bedeutet ohne schuldhaftes Zögern. In der Praxis hat sich eine Frist von drei Wochen für die Zusendung von Kopien als angemessen erwiesen.
2. Was tue ich, wenn meine Anfrage komplett ignoriert wird?
Wenn nach Ablauf Ihrer Frist nichts passiert, eskalieren Sie in zwei Schritten:
- Schriftliche Mahnung: Senden Sie eine kurze, letzte Frist von 10 Tagen.
- Beschwerde: Wenden Sie sich an die zuständige Landesärztekammer und den Landesdatenschutzbeauftragten. Eine kurze E-Mail mit dem Sachverhalt und einer Kopie Ihres Schreibens wirkt oft Wunder und ist für Sie kostenlos.
3. Wie lange müssen meine Unterlagen aufbewahrt werden?
Die gesetzliche Aufbewahrungsfrist beträgt in der Regel 10 Jahre nach Abschluss der Behandlung. Bei bestimmten Unterlagen (z.B. Röntgenbilder) sogar noch länger. Sie können also auch Unterlagen aus weiter zurückliegenden Behandlungen anfordern.
4. Darf ich auch als Angehöriger die Akte anfordern?
Ja, aber nur mit einer klaren Legitimation. Sie benötigen entweder eine vom Patienten unterschriebene Vorsorgevollmacht oder eine separate, schriftliche Einwilligung. Für Verstorbene können Erben die Akte anfordern, wenn sie ein berechtigtes Interesse nachweisen können (z.B. zur Klärung von Erb- oder Schadensersatzansprüchen).
Fazit: Wissen ist Macht

Sie haben es bis hierher geschafft und sind jetzt bestens gerüstet. Die Einsicht in Krankenunterlagen ist kein Gnadenakt, sondern Ihr verbrieftes Recht. Ihre Patientenakte ist ein Teil von Ihnen, Ihre persönliche Geschichte.
Gehen Sie diesen Weg selbstbewusst. Nutzen Sie die Vorlagen, kontern Sie die Ausreden und bleiben Sie hartnäckig. Es ist Ihr Recht, es ist Ihre Gesundheit und es ist Ihr Leben. Wenn Sie Ihre Akte in den Händen halten, halten Sie nicht nur Papier, sondern die Macht, informierte und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Sie schaffen das.
Abdelrahman Mohamed
Pflegefachmann
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